Bilderstürmer

Google arbeitet an Software, die aus Schnappschüssen tolle Fotos macht. Ist das das Ende der Fotografie?

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Kann eine Maschine wirklich lernen, was Schönheit ist? Nun, sie kann zumindest erfolgreich so tun, als ob sie es könnte. Hui Fang und Meng Zhang von Google haben einem tiefen, neuronalen Netz beigebracht, Fotos professionell zu bearbeiten, um ihre Wirkung zu maximieren. Die technischen Einzelheiten kann man in ihrem Paper (Creatism: A deep-learning photographer capable of creating professional work) nachlesen.

Nach erfolgreichem Training fütterten die Forscher das neuronale Netz mit 40.000 Panoramaaufnahmen von Google Maps, darunter Aufnahmen aus den Alpen, aus Kanada und dem Yellowstone-Nationalpark. Creatism suchte den mutmaßlich besten Bildausschnitt und passte die Farb-, Kontrast- und Belichtungseinstellungen an, um möglichst viel Dramatik mit Licht und Schatten zu erzeugen.

Die Ergebnisse legten die Forscher dann professionellen Fotografen zur Beurteilung vor, ohne dass die wussten, welche Bilder von einer Maschine, und welche von einem Menschen bearbeitet wurden. 41 Prozent der Bilder wurden von den menschlichen Profis als semi-professionell beurteilt, 13 Prozent sogar als besser.

Na und, könnten Sie einwenden. Was soll daran schwierig sein? Man muss dem neuronalen Netz nur einfach genügend Beispiele für schöne Fotos vorlegen, dann lernt es irgendwann schon, was schön ist. Das Problem ist aber, dass Schönheit so ein verdammt weicher, schwammiger Begriff ist. Und dass ein Foto mit einem interessanten Bildausschnitt noch lange nicht perfekt belichtet sein muss – und umgekehrt. Was bedeutet, dass man das neuronale Netz beim Trainieren wahrscheinlich genau so oft in die Irre führt, wie man es weiterbringt.

Erst vor kurzem – in der Juni-Nummer – hatte ich einen Artikel über ganz ähnliche Projekte geschrieben. Da ging es unter anderem um die Foto-Community EyeEm, die ebenfalls ein tiefes, neuronales Netz darauf trainiert haben, "gute" Fotos zu erkennen. Der Ansatz dabei ist recht innovativ: Das Netz versucht Merkmale in den Fotos zu finden, die bei zwei guten, professionellen Fotos ähnlich, einem schlechten dritten Foto mit dem gleichen Motiv aber verschieden sind.

Mathematisch formuliert ist das die Suche nach einem Raum, einer "Repräsentation" der Bilder, in der die berechnete Distanz zwischen den beiden guten Fotos klein, die Distanz der beiden guten Bilder zu einem ähnlichen, schlechten Foto aber sehr groß ist. Trainiert man das Netz mit sehr vielen Beispielen, ist es in der Lage, Bildern mit vielen "guten" Merkmalen zu finden.

Der Fotograf Michael Freeman, Autor zahlreicher Fotobücher, war von diesem Konzept allerdings nicht sehr überzeugt. "Es gibt eine fundamentale Unstimmigkeit darüber, was ein gutes Foto ist", sagte Freeman. "Ich kann Ihnen nur sagen, was ein gutes Foto bewirken sollte: Es sollte provozieren, überraschen, aber dabei verständlich bleiben." Wie man dieses Ziel erreicht, ist am Ende eine sehr persönliche Angelegenheit. "Beim Fotografieren geht es letztendlich darum, sich selbst auszudrücken", sagt Freeman. "Wer dies einer Maschine überlässt, verleugnet dieses Bedürfnis."

Trotzdem war ich sehr gespannt, als ich vor kurzem die Gelegenheit hatte, den Algorithmus auf meine eigene Fotosammlung loszulassen. Die Empfehlungen der Maschine – einige davon hier online – sind gemischt. Einerseits hat der Algorithmus offenbar eine klare Vorliebe für Menschen – wann immer Gesichter zu sehen waren – und das ist bei meinen Fotos nicht oft der Fall –, bekam das Foto eine Empfehlung. Auf der anderen Seite hat die Maschine eine Vorliebe für Details und ungewöhnliche Bildausschnitte.

Stellt man mehrere dieser Bilder nebeneinander, verstärkt sich der Gesamteindruck. Und das ist ein gänzlich unerwarteter Effekt: Die Software stülpt mir nämlich keineswegs einen fremden, allgemeinen Begriff von Schönheit über. Sie hilft mir, den eigenen Stil besser zu sehen – und so zu entwickeln. Cool, habe ich jedenfalls gedacht. In der Richtung werde ich mal weitermachen.

Software, die Schönheit beurteilt, und Bilder nach künstlerischen Kriterien bearbeitet, das scheint mir also nicht das Ende der Fotografie zu sein, sondern ein interessanter Anfang.

(wst)